Freitag, 27. März 2015

Freitagsfüller und mehr

Der Freitagsfüller stammt wie immer von hier.


1. Heute ist Freitag, letzter Tag in Job B vor der Osterpause und sogar etwas verkürzt, weil ich vorgearbeitet habe - hurrah.

2. Ich liebe den Duft von Lindenblüten. Und Flieder, und echten Rosen (besonders diese uneleganten knubbligen englischen  Rosen, die machen, daß man sich wie ein anderer Mensch fühlt) und Lilien - ein Exemplar von letzteren habe ich mir diese Woche sogar als Luxusgeschenk gegönnt, die steht jetzt in meinem Schlafzimmer. Noch sind die Blüten zu und duften nicht, aber bald. :)

3. Schade, daß Ideen in ihrer Umsetzung von Menschen abhängig sind. Ich meine, schade, daß ein ursprünglich wunderbarer Gedanke letztlich immer nur dann verwirklicht werden kann, wenn kein menschliches Versagen eintritt.

4. Ich mümmle Nüsse, wenn ich einen Snack möchte. Cashewkerne... hmmmm.

5. Gib mir einen großen, klopsigen Hund und ich werde unfähig sein, weiter normal mit Dir zu reden. Tut mir Leid. Knuddeln und Glücksgefühlquietschen haben dann einfach Vorrang.

6. Wenn mein eigener pelziger Mitbewohner hier manchmal ausrastet und nächtliche Sporteinheiten absolviert, könnte ich herzhaft lachen.

7. Was das Wochenende angeht, heute freue ich mich auf den wie gesagt um 45 Minuten verkürzten Arbeitstag, morgen habe ich eine Frau zu Besuch, die möchte, daß ich mal ihre Stimme anhöre und ihr Singetipps gebe, und Sonntag möchte ich zu Job A.

Ich mußte mir in den letzten Tagen und Wochen von mehreren Leuten anhören, ich solle doch mal mein Leben ändern. Selbst mein Exmann hielt mir gestern einen zehnminütigen Vortrag darüber, was mein Körper vermutlich tun werde, wenn ich so weiter mache. :(
Meine Mutter, die sich schon länger Sorgen um meine Gesundheit macht, sagte neulich ganz erstaunt, sie könne nicht verstehen, warum es mir dauernd schlecht ginge, schließlich habe sie in meinem Alter viel mehr an der Backe gehabt - 5 Kinder und einen sehr anstrengenden Job. Das stimmt vielleicht, aber zum Einen ist ja mein Glücksgefühl völlig unabhängig von den Erlebnissen anderer Personen, noch dazu, wenn diese über 30 Jahre her sind; zum zweiten ist Musik, auch wenn das Nichtmusiker nie glauben wollen, tatsächlich SCHEISSE ANSTRENGEND NEIN WIR SPIELEN NICHT DEN GANZEN TAG WIE GLÜCKLICHE KLEINE KINDER AUF DEM RUMMEL Verzeihung, ich habe da etwas Zorn aufgestaut, und zum dritten hatte meine Mutter eine Sache nicht, die mir gerade zu schaffen macht: eine nagende Mir-geht-dieKohle-aus-und-ich-habe-keine-Ahnung-wie-ich-die-Miete-zahlen-werde-Existenzangst. Jedenfalls glaube ich, daß sie das nicht hatte - obwohl sie natürlich DDR-bedingt ganz andere Probleme hatte, nämlich, daß es bestimmte Dinge einfach grundsätzlich nicht gab, und dazu zählten unter Umständen auch mal Kinderklamotten.

Job A hat mich zum Ende letzten Jahres von der Krankenkasse abgemeldet. Weil ich dort so wenig verdiene, daß sie mich als Minijob eingestuft haben. Weil ich seit Monaten viel weniger Dienste bekomme. Weil die Kollegin mit der Dienstplanfrau befreundet war (und auch deshalb den Job bekommen hat). Job A hat mich darüber aber nicht in Kenntnis gesetzt - und auch die Krankenkasse wurde erst Ende Februar, nach 2 Monaten, informiert. Anfang März teilte die Kasse mir die Situation mit: Du bist nicht mehr krankenversichert, das bedeutet, Du kannst das jetzt selbst bezahlen, und übrigens hast Du 3 Monate Schulden bei uns. Und zwar aus dem Grund, daß Du weniger verdienst. Selbst Schuld, warum machst Du auch sowas.

Super. Also habe ich mehrere spaßige Stunden damit verbracht, einen Antrag für die Künstlersozialkasse auszufüllen, den ich vor 2 Wochen weggeschickt und auf den ich noch keine Reaktion bekommen habe. Wenn ich dort nicht aufgenommen werde, habe ich keine Ahnung, wie es finanziell mit mir weitergeht. Der Mindestsatz als "freiwillig" (Ha! Ha!) Versicherter liegt deutlich über 200 €, die ich mir ja schlecht aus dem Ärmel schütteln kann.

Als wäre das nicht niederschmetternd genug, erhielt ich Post vom Gericht. Ich sei ja geschieden worden, hätte Prozesskostenbeihilfe beantragt und bewilligt bekommen, und man wolle mal nachfragen, ob ich denn jetzt dieses Geld doch irgendwie zahlen könne. Anbei der zehnseitige Bogen, in welchem ich erneut detailliert meine gesamte finanzielle Situation mit Nachweisen zu belegen hätte, und zwar innerhalb einer Woche, andernfalls hätte ich zu zahlen.

Nochmal super. Ich verbrachte also weitere spaßige Stunden mit diesem Antrag und meinem unendlich geduldigen Papa, der mir bei sowas immer hilft und noch zufrieden sagte "na dann haben wir wenigstens schonmal alle Fahrkosten 2014 für die Steuer". Hmmmrrrrbbbrrrmml.

Und zu guter Letzt ein Job C, ursprünglich mal ein idealistisches Gemeinschaftsprojekt, für das ich mich sehr engagiert habe, und das mich jetzt einfach nur noch auffrißt. Ich habe seit Monaten das Gefühl, ich wäre die einzige, die dort etwas tut, ja, die einzige, die überhaupt noch mitdenkt, und nicht nur das - ich muß mich dafür auch noch quasi rechtfertigen. Mit größter Selbstverständlichkeit fährt mal der eine, mal der andere in Urlaub und ein dritter kann prinzipiell nicht mehr an unserem Probentag, und zwar bis Sommer, danach zieht er vielleicht ganz weg. Wir haben seit 2 Monaten nicht geprobt. Nicht. Also damit meine ich GAR NICHT. Das macht mich fertig. Das macht mich einfach nur fertig.

Ich habe letzten Sommer die Entscheidung getroffen, einen Unterrichtstag komplett abzugeben, um wengistens einmal in der Woche frei zu haben - damit ich Kraft tanken kann, um tolle Sachen wie Job C voranzutreiben. Das hat finanziell ganz schön zugeschlagen, ich habe es aber geschafft. Jetzt sehe ich, wie die Kollegen, die mehr als doppelt soviel unterrichten wie ich, weil ihnen das Polster so wichtig ist, nicht nur keinen Finger mehr krumm machen, sondern das, was getan wird, auch noch permanent in Frage stellen. Und jetzt habe ich ein echtes Dilemma. Ich mag all diese Menschen unglaublich gerne, insbesondere beim Musizieren. Ich habe niemals so schöne musikalische Momente gehabt wie in dieser Gruppe. Aber ich reibe mich auf. Mein Körper gibt mir seit langer Zeit deutliche Signale, und mittlerweile beginnt er schon, mich arbeitsunfähig zu machen.
Diese streßbedingte Flechte, von der die Hautärztin letzten Juni meinte, die wäre in 2 Wochen wieder weg, wenn ich einfach mal Urlaub mache, ist natürlich immer noch da. Ich habe alle paar Wochen oder Monate schwere Koliken bis hin zum Ohnmächtigwerden. Ich bin seit 4 Monaten stimmlich angeschlagen und kann, obwohl ich eigentlich völlig gesund bin, kaum länger als 20 Minuten singen, bevor mir die Stimme wegbricht. Meine Ohren jucken nicht nur zum Wahnsinnigwerden, sondern tun auch weh, und langsam habe ich einfach keine Lust mehr, ein Sammelbecken für psychosomatischen Schnickschnack zu sein. Ich will gesund sein und arbeiten können, ohne dabei von Menschen oder Situationen behindert zu werden.

Und ich weiß nicht, was "ändere Dein Leben" eigentlich bedeuten könnte. Mein Exmann sagte, ich könne auch alles, was mich streßt, einfach hinschmeißen, Hartz IV beantragen und mein eigener musikalischer Herr sein, aber das will ich um nichts in der Welt. Ich habe zuviel Stolz dafür, und ich bin jederzeit lieber gestreßt, aber eigenverantwortlich, als von einer Sozialhilfe abhängig. Aber was soll ich tun? Job B ist eigentlich sehr cool, außer daß ich in den Ferien nicht bezahlt werde. Ich habe da Spaß, natürlich nicht immer, und natürlich ist es nicht der Traum meines Lebens, aber es könnte wesentlich schlimmer sein - ich könnte mir völlig artfremd als Schwimmlehrerin was dazuverdienen müssen (auch das wurde mir schon angeboten, für 5€ die Stunde mit 20 kreischenden Kindern in einem halligen Bad, yeah).

Ich nehme an, was ich verändern muß, sind nicht die Umstände, sondern mein Blick darauf. Ich nehme an, ich werde in Job C eine Grundsatzdiskussion vom Zaun brechen müssen. Ich habe Angst davor, denn ich möchte dort niemandem wehtun, aber inzwischen tut es mir selbst zu sehr weh, um es weiter hinunterzuschlucken.

So. Genug gejammert. Auf zu Job B.



Montag, 9. März 2015

Onkel Walter freut sich

Mein Vater und ich sind die Musik zu einer Beerdigung. Zur Beerdigung meines Onkels, seines Schwagers. Dieser war 81 Jahre alt, seit langer, langer Zeit schwer krank, ursprünglich mal ein lebensfroher, aktiver Mann, aber in den letzten Jahren hinfällig und, teils als Nebenwirkung der Medikamente, teils wegen der physischen Beschwerden selbst, depressiv und seines Lebens müde. Es tut mir nicht Leid, daß er gestorben ist, denn er hatte es schwer mit seinem Körper, aber meine Tante tut mir sehr Leid, denn die beiden verbindet eine unendlich lange Geschichte - sie war 16 oder 17, als sie sich kennenlernten, die goldene Hochzeit liegt schon Jahre zurück, und da, stelle ich mir vor, ist man derartig zusammengewachsen, daß es sein muß, als würde einem das Herz amputiert. Aber gut, ich bin ein romantischer Mensch, sie dagegen ist sehr pragmatisch, vielleicht kann sie damit besser umgehen als ich es könnte, zumal sie viel besser als ich weiß, wie er sich zuletzt gequält hat.

Papa und ich fahren gemeinsam zum Friedhof, das Wetter ist kalt und der Boden noch feucht vom Regen in der Nacht davor, doch es ist schön und klar. Ein Freund hatte mir Neurexan gekauft und ich habe vorher eine Tablette genommen. Wir dürfen mit dem Auto durch die Friedhofs-Toreinfahrt und rollen langsam bis vor die kleine Kapelle. Fünf Leute stehen da schon, eine andere Tante und ein Onkel von mir sowie ein weiteres älteres Paar und ein einzelner Mann um die fünfzig, die ich nicht kenne. Wir steigen aus und gehen zu dem Grüppchen. Der einzelne Mann und mein Vater reichen sich erst die Hand, dann folgt eine ungeschickte Männerumarmung, die aus einem kurzen Zueinanderneigen mit Schulterklopfen besteht. Ich reche dem Mann distanziert die Hand und sage höflich "Guten Tag", was ihn mitten in der Bewegung zu einer ähnlichen Umarmung wie der für meinen Vater stoppt. Er sieht mich etwas unsicher an, doch ich begrüße schon die anderen. Als ich damit fertig bin, gehen mein Vater, der fremde Mann und ich zum Auto, entladen die tragbare kleine Orgel und bringen sie über eine kaum mannsbreite Wendeltreppe auf die winzige Empore der Kapelle. Der Mann verabschiedet sich und alleingelassen bauen wir die Orgel auf, einigen uns auf die Lautstärke zur Begleitung meiner Lieder und beschließen, ein Klo zu suchen.

Wir müssen dorthin durch die Kapelle gehen, in der fleißig aufgebaut wird. Als wir zurückkommen, begegnet uns dort der fremde Mann wieder und stellt uns der etwas zu fröhlich lächelnden Frau vom Bestattungsinstitut vor mit den Worten: "Mein Onkel - meine Cousine…"
Ups, denke ich.

Als wir zurück sind, kommt der Pfarrer kurz auf die Empore für die letzten Absprachen, dann beobachten wir schweigend den unten stattfindenden Aufbau. Ein Foto von meinem Onkel steht da, mit seiner getönten Brille und diesem schiefgezogenen Mund, von dem man nie weiß, ob er verschmitzt grinst oder entnervt verzogen ist. Unterhalb des Bilderständers sind Kränze von meiner Tante und seinen Söhnen, ich weiß nicht einmal mehr genau, wieviele Söhne es eigentlich waren, denn meine Familie ist riesig und die Cousins sind um die 20 Jahre älter als ich. An den Wänden stehen Kerzen, symmetrisch nach Größe sortiert, in Haltern, die es schaffen, gleichzeitig stilvoll und unaufdringlich zu sein, und in der Mitte neben dem Foto eine kitschig bemalte Vase mit Blumen. Bisher wurde der Sarg noch nicht gebracht oder er steht unter der Empore, außerhalb meines Sichtfeldes. Ich bin sehr dankbar dafür, denn ich habe nahe am Wasser gebaut. Auf die Stühle legt jemand Liedblätter, und zwar auf alle, obwohl mir das recht viel erscheint, denn ein großer Teil dieser riesigen Familie wohnt weit verstreut.

Meine Tante wird hereingeführt. Sie ist nicht mehr gut zu Fuß und stützt sich auf den Arm eines furchtbar verhärmt aussehenden Mannes, der sich lange später als ihr ältester Sohn herausstellt. Beide setzen sich in die erste Reihe und ich entscheide mich spontan für zwei weitere Neurexan. Die anderen Trauergäste folgen, mein Vater spielt schon seit Minuten leise vor sich hin. Als der Pfarrer seinen Platz seitlich des Fotos und der Blumen einnimmt, beginne ich das erste Stück: das Ave Verum. Es folgen eine kurze Begrüßung, ein Gemeindelied, eine längere Predigt, aus der hervorgeht, daß mein Onkel offenbar sein Leben lang begeistertes Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr gewesen ist, was ich nicht wußte, ein weiteres Gemeindelied, ein zweites Lied von mir ("Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand"), die Aussegnung, das letzte Lied von mir ("Ruhe still") und es folgt die Musik zum Ausgang. Der ehemals fremde Mann, jetzt wiedergefundener Cousin, stellt sich in ritueller Festlichkeit vor die Gäste, nimmt die kitschige Blumenvase in die Hand und schluckt schwer. Erst jetzt wird mir klar, daß mein Onkel die ganze Zeit da vorne war. In der Urne. Jetzt laufen mir doch ein paar Tränen, und da ich nichts mehr zu tun habe, außer Papas Musik und den Auszug abzuwarten, grabble ich die Wasserflasche aus meiner Tasche und trinke, trinke bis ich vor Trinken und Schlucken nicht mehr weinen kann. Ich habe immerhin die ganze Trauerfeier durchgehalten und gesungen, für meine Tante, der ich eine Zeremonie zum Abschiednehmen ermöglichen wollte, wie sie sie haben wollte.

Wir packen das Orgelchen wieder ein und verladen es ins Auto, dann gehen wir dem langsamen Trauerzug hinterher, schummeln uns an 20 uniformierten Feuerwehrleuten und einigen entfernteren Verwandten vorbei bis zu meiner Mutter und meiner ältesten Schwester, die anstelle einer Begrüßung sagt "Ich hab Dir ne Rose besorgt" und mir selbige entgegenstreckt. Ich denke, daß sie es aus Liebe zu mir getan hat, und wieder tut es mir weh, daß wir uns nie sehen und sprechen können, weil sie ein Arschloch geheiratet hat, aber immerhin ist sie jetzt da und ich sehe, daß es ihr gut zu gehen scheint.

Wir stehen in 2 langen Reihen am Grab. Nach dem gemeinsamen Vaterunser werden Erde und Blumen auf die kleine Senke mit der Urne geworfen. Ich bin die letzte unserer kleinen Hummelfamilie, gehe vom Grab weg und an meiner Tante vorbei, die wegen ihrer schlechten Beine einen kleinen Stuhl bekommen hat. Sie nimmt mich in den Arm und flüstert mir ins Ohr: "Danke, daß Du so schön gesungen hast. Ich glaube, Onkel Walter freut sich."
Und da läuft mir das Wasser in Bächen aus den Augen. Sie tut mir so Leid. Ich tue mir so Leid für den Moment, in dem ich meine Eltern verlieren werde. Menschen, die an nichts glauben als an eine physische Existenz ohne Sinn tun mir Leid für die Hoffnungslosigkeit, die in ihrem Leben die Basis bilden muß.
"Die Engel beschützen Dich" stand auf dem Kranz meiner Tante. Ich frage mich, ob ich vielleicht nicht die einzige in meiner Familie bin, die sich dessen sicher ist. Ob meine Tante wie ich mehr sieht, als sie ausspricht. Falls dem so sein sollte, hat sie auf jeden Fall eine Menge Trost von innen.