Mittwoch, 4. Juni 2014

Quaddelblablubb

Alles begann vor 2, 3 Wochen mit einer kleinen rosa Stelle auf der Brust. Ich vergaß sie in der Minute, in der ich sie entdeckte. Tage später war die kleine Stelle eine große Stelle, die viele Kumpels bekommen hatte. In zwischen sind Brust, Bauch, Rücken und Oberarme bedeckt von Flecken, die aussehen wie verheilende Brandwunden und in der Größe von "hier hat jemand seine Zigarette auf mir ausgedrückt" bis "hier ist ein heißes 2-€-Stück kleben geblieben" variieren.

Da das alles nicht mehr schön ist und ich nicht abwarten wollte, wie lange es dauert, bis der größere Teil meiner Gesamtoberfläche rosa ist, fahre ich also heute früh freiwillig zum Arzt. (Ja, echt.)

Auf dem Hinweg muß ich durch die engen Kopfsteinpflasterstraßen der Innenstadt und schiebe mich langsam an den auf meiner Straßenseite parkenden Autos vorbei, als von vorne ein Golf mit hoher Geschwindigkeit und exakt in der Straßenmitte auf mich zurast. Im letzten Moment schafft er es, so weit zu seiner Seite zu lenken, daß er einen Crash vermeidet - es macht nur "Plock" und mein Seitenspiegel ist eingeklappt. Aus den Ohren leicht vor Zorn rauchend ziehe ich die Handbremse an und steige aus meinem Wagen - er tut hinter mir dasselbe. Ein Mann irgendwas zwischen verlebten 35 und 55 Jahren, einen guten Kopf kleiner als ich und von so außergewöhnlicher Häßlichkeit, daß ich ihn nur mit Korporal Nobbs vergleichen kann, obwohl das dem Korporal Unrecht tut, kommt auf mich zu und schafft es, im obercoolen Schlendern mit einer gewissen lässigen Herablassung zu mir hochzublicken, als er sagt: "Ja, immer schön auf den Abstand achten." Mir geht gerade das mentale Messer in der Tasche auf, da ist er auch schon an mir vorbei, inspiziert meinen Wagen und sagt "Wenn bei Ihnen auch nur der Spiegel eingeklappt ist wie bei mir, dann können wir das mal so stehen lassen."
Ich atme langsam aus.
Ich atme langsam ein.
Ich erkläre mein Auto für unbeschädigt und fordere Nobby gestisch auf, sich von meinem Auto weg zu verpissen, da ich heute, wie ich nur gedanklich ergänze, für meinen Pazifismus nicht garantieren kann. Er versteht und befolgt die Geste augenblicklich und wiederholt diesmal in regelrecht gönnerhaftem Ton seinen gut gemeinten Rat, ich solle doch immer schön auf den Abstand achten.
Ich atme aus.
Ich atme ein.
Ich deute auf mein Auto, das 10 cm von der parkenden Reihe entfernt steht, dann auf sein Auto, das einem fetten Fahrradfahrer noch viel Platz zum Durchschlüpfen ließe.
"Wem sagen Sie das", lächle ich liebenswürdig, doch er ist gegen Ironie ebenso immun wie gegen die nackten Fakten und schlendert lässig, wie er kam, zu seinem Golf zurück, in dem eine hübsche Asiatin große erschrockene Augen macht. Ich steige ein, verkneife mir jede obszöne Geste, nach der mir zumute ist, und fahre weiter.

Beim Arzt bin ich positiv überrascht, daß die Praxis a) noch existiert und b) Sprechstunde hat, denn telefonisch war hier tagelang niemand erreichbar gewesen. "Bitte nehmen Sie Platz" sagt die sehr nette Sprechstundenhilfe ungeachtet der Tatsache, daß das Wartezimmer keinen freien Stuhl mehr hat. Ich nehme also Stehplatz. Nach mir tun noch drei weitere Patienten dasselbe und lümmeln sich in einem schlechten Kompromiß aus Restwürde und Nullbock gegen die Korridorwand.
Eine Stunde später verrät die Sprechstundenhilfe uns, daß am Ende des Flurs links vor dem Raum mit der Laserwarnung noch drei Stühle stehen.

Als ich aufgerufen werde, huscht die Ärztin mit den Worten "bitte schonmal freimachen" wieder aus dem Raum. Ich brauche 2 Sekunden, um das T-Shirt auszuziehen. Sie braucht eine Viertelstunde, um zurückzukommen. Während ich mich halbnackt in ihrem Raum langweile, beginne ich fatalerweise die Poster an den Wänden zu studieren. Eines erklärt ausführlich und unter Zuhilfenahme anschaulicher Bilder alles, aber auch wirklich alles, was mit Hämorrhiden zu tun hat und stellt die Behauptung auf, Lesen auf dem Klo begünstige die Krankheit. Scheiße, denke ich, bloß weg mit dem St-Patrick-Buch, das ich da seit einem Jahr zu liegen habe, weil ich immer nur einen Satz schaffe. Dann frage ich mich, ob die Art der Lektüre wohl auch einen Einfluß auf Hämorrhidenbildung nimmt. Wirken Selbsthilferatgeber von der Sorte "Geh mehr aus Dir heraus" stimulierend?

Auf dem Poster links davon sind diverse Ekzeme abgebildet. Mindestens drei davon sehen fast gleich aus, und zwar wie meines.

Auf dem Poster rechts von den Hämorrhiden ist etwas derartig Gruseliges, das Händen und Füßen zustoßen kann, abgebildet, daß ich mich schaudernd abwende.

Auf der Wand gegenüber fährt ein Comicelefant Skateboard, offenbar mit mäßigem Erfolg, denn er ist am ganzen Körper mit Heftpflastern beklebt, die Comicinsekten um ihn herum haben alle panische Gesichter und hinten ans Skateboard ist ein Sozius, darin eine grinsende Maus mit Erste-Hilfe-Kasten, gebunden. Ich überlege, was das wohl für eine Allegorie sein mag, da kommt die Ärztin zurück, besieht sich meinen Oberkörper und stellt mir allerlei Fragen.
Nein, es brennt und juckt nicht.
Nein, ich sei nicht krank.
Auch nicht in letzter Zeit.
Ja, Bauchweh und Durchfall hätte ich jetzt öfter gehabt.
Nein, nicht nach bestimmten Lebensmitteln.
Streß habe ich, klar, wer nicht.
Rückenschmerzen? Nein. (Das ist natürlich gelogen - aber ich habe nicht mehr Rückenschmerzen als normalerweise, also zählen sie nicht.)

Für sie sehe das nach einer stressbedingten Röschenflechte aus, sagt sie schließlich, und untersucht meinen auf ihrer Liege ausgestreckten Körper nach der besten Stelle für eine Bohrung. Röschen klingt eigentlich sehr hübsch, finde ich. Schließlich entnimmt sie die Probe am Oberschenkel und erzählt derweil, daß es nicht ansteckend sei und meistens wieder weggehe, wenn der Streß nachläßt. Ob ich eine Krankschreibung bräuchte.
"Nein danke" sage ich etwas zu laut.
"Wann arbeiten Sie denn wieder?"
"In einer Stunde." - Sie hebt die Brauen. - "Es geht nicht anders", sage ich.
"Sie sollten in den nächsten zwei Wochen möglichst gar nicht arbeiten", stellt sie fest. "Sie sollten nicht duschen, möglichst nicht schwitzen, keinen Sport treiben, rigendwo im Schatten sitzen und sich ausruhen."
Ich bekomme einen kurzen, aber heftigen Lachflash. In den nächsten 6 Wochen werde ich in jedem meiner 3 Jobs 120% leisten müssen. Für das nächste Wochenende, das ich selbstverständlich durcharbeite, sind 30° angesagt. Immerhin - keinen Sport zu treiben könnte ich ehrlichen Herzens versprechen.
Als ich mich beruhigt habe, antworte ich sehr eloquent: "Hmm." - "Rufen Sie in 2 Wochen nochmal an, ob es weg ist", sagt sie freundlich und ich erwidere, das wäre dann wohl erst ungefähr im August der Fall. Sie drückt mir ein Rezept für eine Salbe in die Hand und ich darf gehen.

In der Apotheke packe ich den Zettel, der beinahe ebenso rosa ist wie ich, auf die Theke, und eine rundliche Apothekerin sagt fröhlich, das wäre vorrätig. Sie holt mir ein Döschen von der Creme (ein Anti-Röschen-Döschen, haha), weist mich an, die Dose im Kühlschrank aufzubewahren, und als ich nichts erwidere, fühlt sie sich zu einer näheren Erklärung aufgefordert: "Das kühlt dann schön." - "Ach so", sage ich stumpf und frage noch nach einer 50+ Sonnencreme, die nicht wie eine Schicht Gummi auf der Haut liegt, bevor ich zur Arbeit fahre.

Schon auf dem Hinweg knurrt mir der Magen, es ist 3 Stunden nach Frühstück und noch über 8 Stunden bis Abendessen. Meine erste Schülerin, die aufgeweckt, talentiert und temperamentvolle 9 Jahre alt ist, hat mal wieder nicht geübt, weil das keinen Spaß macht. Sie entdeckt einen rosa Fleck an meinem Arm. "Ja", brumme ich gespielt streng, "die Ärztin wollte mich krankschreiben, aber ich habe ihr gesagt, das geht nicht, weil meine erste Schülerin immer nicht übt, so daß ich das mit ihr in der Stunde machen muß." Die Kleine kichert vergnügt und im Laufe der 45 Minuten Unterricht gelingt es mir tatsächlich, ihren Ehrgeiz zu wecken. Mal gucken, ob der die Woche überlebt.

Hier noch eine Portion Hass für alle:


7 Kommentare:

Kivi hat gesagt…

Ich bin ernsthaft hingerissen zwischen lachen und weinen.... Ich hab auch "Röschen", aber leider von der dauerhaften Sorte und mitten im Gesicht :( Daumen sind gedrückt daß deins schnell wieder verschwindet!

Ich wünschte ich könnte dir ein wenig Ausruhen schenken, aber das ist bei mir selber irgendwie knapp :(

athena hat gesagt…

Über den Stress sprechen wir ja immer mal wieder...
Abgesehen davon liebe ich Deinen beißenden Sarkasmus und möchte jedesmal mit laut tosendem Applaus aufspringen, wenn ich Dich lese! :D

Hummel hat gesagt…

Sarcasm keeps me alive. ;-)

Danke für die guten Wünsche, Kivi - die kann ich auch nur zurückgeben. Dauerhaft ist ja dauerdoof. :( Ausruhen scheint für Künstler nicht vorgesehen zu sein, aber ich bin schon am Maßnahmen ergreifen.

Anonym hat gesagt…

Betrachte die Röschen als Auszeichnung. Ich hab davon auch manchmal ein paar (und weiß jetzt was das ist).

Hummel hat gesagt…

Oh, dann freut es mich, Deine gesundheitliche Halbbildung bereichert zu haben. =) Ja, ich könnte sie als psychosomatische Kriegsnarben betrachten. Gute Idee. ^^

Tricia Danby hat gesagt…

Ich hatte sowas auch schon ... bei mir war es aber ein Pilz und keine Röschen :/

Hummel hat gesagt…

Ugh. Pilz ist ganz doof. Das hatte ich Gottseidank noch nie - auf das Röschen verzichte ich aber auch gerne wieder.